Amnesty Report 2011 – Belarus

Amtliche Bezeichnung: Republik Belarus
Staatsoberhaupt: Alexander Lukaschenko
Regierungschef: Sergej Sidorsky
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 9,6 Mio.
Lebenserwartung: 69,6 Jahre
Kindersterblichkeit (m/w): 14/9 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 99,7%

2010 wurden drei Todesurteile verhängt und zwei Menschen hingerichtet. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren drastisch eingeschränkt. Friedliche Demonstrierende wurden in Gewahrsam genommen und mit Geldstrafen belegt. Mutmaßliche Fälle von Folter und Misshandlungen wurden nicht zügig und unparteiisch untersucht. Gewaltlosen politischen Gefangenen wurde der Zugang zu medizinischer Versorgung und rechtlichem Beistand verwehrt.

Hintergrund

Im Dezember 2010 wurde Präsident Lukaschenko mit 79,7% der Stimmen wiedergewählt. Die Wahl entsprach nach Einschätzung internationaler Beobachter nicht den Standards der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Bei Schließung der Wahllokale am 19. Dezember löste die Bereitschaftspolizei eine überwiegend friedliche Demonstration von Unterstützern der Opposition gewaltsam auf. Nach diesen Ereignissen ging man hart gegen Oppositionelle, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten vor. Die Behörden setzten sie willkürlichen Inhaftierungen, Durchsuchungen, Drohungen und anderen Formen von Schikane aus.

Todesstrafe

Regierungsvertreter erklärten sich 2010 bereit, beim Thema Todesstrafe mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Im Februar wurde eine parlamentarische Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet. Im September räumte die Regierung gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat ein, dass die Abschaffung der Todesstrafe notwendig sei. Sie erklärte ihre Absicht, in der Öffentlichkeit auf eine Abschaffung hinzuwirken und diesbezüglich auch künftig mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Ungeachtet dessen wurden weiterhin Todesurteile verhängt und vollstreckt. Im Dezember hat sich Belarus in der UN-Generalversammlung bei der Abstimmung über ein weltweites Hinrichtungsmoratorium der Stimme enthalten.

Im März 2010 wurden Vasily Yuzepchuk und Andrei Zhuk hingerichtet. Die zwei Männer waren im Juni bzw. im Juli 2009 zum Tode verurteilt worden. Wie in allen Todesstrafenfällen in Belarus wurden auch in diesen beiden Fällen weder die Verurteilten noch ihre Angehörigen vorher über das Datum der Hinrichtung informiert. Andrei Zhuks Mutter erfuhr erst von der Hinrichtung ihres Sohnes, als sie am 19. März ein Lebensmittelpaket für ihn abgeben wollte. Die Todesurteile wurden vollstreckt, obwohl sich die beiden Männer an den UN-Menschenrechtsausschuss gewandt hatten. Dieser hatte die belarussische Regierung am 12. Oktober 2009 gebeten, die Todesurteile nicht zu vollstrecken, bevor der Ausschuss die Fälle überprüft habe.

Oleg Grishkovtsov und Andrei Burdyko wurden am 14. Mai 2010 vom Regionalgericht Hrodna wegen Mord, bewaffnetem Überfall, Brandstiftung, Entführung eines Minderjährigen, Diebstahl und Raub zum Tode verurteilt. Am 17. September wies der Oberste Gerichtshof die von den beiden Männern eingelegten Rechtsmittel zurück.

Am 14. September 2010 wurde Ihar Myalik vom Regionalgericht Mahilyou wegen mehrerer Raubmorde an der Fernstraße von Mahilyou nach Homel zum Tode verurteilt. Ein zweiter Angeklagter erhielt wegen derselben Straftat eine lebenslange Haftstrafe, ein dritter starb vor Abschluss des Verfahrens im Gefängnis.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Mai äußerte sich die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit in einem Schreiben an die belarussische Regierung besorgt über den Druck auf die unabhängigen Medien im Land. Die Einschüchterung von Journalisten habe eine “demoralisierende Wirkung” auf den ohnehin nur schwach ausgeprägten investigativen Journalismus in Belarus.

Am 3. September 2010 wurde Aleh Byabenin, der Gründer und Herausgeber der inoffiziellen Nachrichten-Website Charter 97, tot in seiner Datscha aufgefunden; er hing mit einem Strick um den Hals an einem Geländerpfosten. Am Tag darauf wurden erste Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung bekanntgegeben, denen zufolge es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Selbstmord handelte. Kollegen und Angehörige stellten diese offizielle Version jedoch in Frage. Sie verwiesen auf zahlreiche Ungereimtheiten im Hinblick auf die Position des Leichnams und erinnerten daran, dass Aleh Byabenin schon seit Längerem im Visier der Behörden stand. Außerdem sei er kurz vor seinem Tod dem Wahlkampfteam des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Andrei Sannikau beigetreten.

Am 1. Juli trat der Präsidialerlass Nr. 60 zur “Verbesserung des nationalen Internet-Segments” in Kraft. Er sieht vor, dass Unternehmen, die Internetdienste anbieten, die Identität ihrer Kunden prüfen und den Behörden deren Daten zur Verfügung stellen. Es wurden Maßnahmen eingeführt, die den Zugang zu Informationen einschränken, die als extremistisch oder pornografisch eingestuft werden könnten oder gewalttätige und andere illegale Handlungen fördern. Nach einer Studie im Auftrag der OSZE führen diese Maßnahmen zu einer “unbegründeten Einschränkung des Rechts der Bürger auf den Erhalt und die Weitergabe von Informationen” und gewähren den Behörden sehr weitreichende Befugnisse, um den Zugang zu bestimmten Informationsquellen zu beschränken.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Durch das restriktive “Gesetz über Massenveranstaltungen” waren die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit 2010 weiterhin eingeschränkt. Dem Gesetz zufolge müssen öffentliche Veranstaltungen von den örtlichen Behörden genehmigt werden. Sie müssen mindestens 200m von U-Bahnstationen und Fußgängerüberwegen entfernt sein. Die Veranstalter müssen für die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen, für Sanitäts- und Rettungsdienste und für die Reinigung des Veranstaltungsorts sorgen und die Kosten für diese Maßnahmen übernehmen. Diese Bestimmungen führten dazu, dass zahlreiche Anträge abgelehnt wurden.

Am 8. Mai verweigerte die Stadtverwaltung von Minsk den für 15. Mai geplanten “Slavic Pride” der Schwulen- und Lesbenbewegung mit der Begründung, die vorgesehene Route führe näher als 200m an U-Bahnstationen und Fußgängerüberwegen vorbei. Als sich eine Gruppe von Demonstrierenden trotz des Verbots am 15. Mai auf den Weg machte, wurden acht Männer und Frauen festgenommen und über das Wochenende in Gewahrsam gehalten. Gegen fünf von ihnen wurden wegen der Beteiligung an einer nicht genehmigten Demonstration Geldbußen verhängt.

Eine überwiegend friedliche Demonstration nach den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember wurde von der Bereitschaftspolizei gewaltsam aufgelöst. Man legte mehr als 700 Demonstrierenden Ordnungswidrigkeiten zur Last und nahm sie für zehn bis 15 Tage in Haft. Sie wurden willkürlich inhaftiert, weil sie auf friedliche Weise ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatten. Viele Demonstrierende wurden Opfer unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei.

Folter und andere Misshandlungen

Im August 2010 legte Belarus dem UN-Ausschuss gegen Folter seinen vierten regelmäßigen Bericht vor. Der Bericht wies die Empfehlung des Ausschusses aus dem Jahr 2000 zurück, den Tatbestand “Folter” gemäß der Definition des UN-Übereinkommens gegen Folter ins Strafgesetzbuch des Landes aufzunehmen. Es hieß, alle Vorwürfe über Folterungen und Misshandlungen würden von der Staatsanwaltschaft geprüft. Nach einem im Dezember von Nichtregierungsorganisationen vorgelegten Schattenbericht hatten jedoch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft nur selten Strafermittlungen zur Folge. Demnach wurden allenfalls oberflächliche Untersuchungen vorgenommen, die nicht über eine Vernehmung der beschuldigten Polizeibeamten hinausgingen.

Am 18. Januar 2010 wies die Staatsanwaltschaft des Minsker Bezirks Sowjetski einen Antrag auf Eröffnung von Strafermittlungen zu den von Pavel Levshin erhobenen Foltervorwürfen zurück. Levshin war am 9. Dezember 2009 in der Polizeiwache des Sowjetski-Bezirks unter Diebstahlverdacht festgenommen worden. Seinen Angaben zufolge wurde er am 10. Dezember von 17 bis 20 Uhr von Polizeibeamten misshandelt und gefoltert. In der Strafanzeige, die er bei der Staatsanwaltschaft erstattete, erklärte er, man habe ihm Handschellen angelegt, ihn auf den Bauch gelegt und ihm Hände und Füße in einer als “Schwalbe” bezeichneten Position zusammengebunden. Die Beamten hätten mit einem Gummiknüppel und mit vollen Plastikwasserflaschen auf ihn eingeschlagen. Außerdem hätten sie ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und dies fünfmal wiederholt, so dass er beinahe erstickt wäre. Ein gerichtsmedizinischer Bericht bestätigte, dass seine Verletzungen mit den erhobenen Foltervorwürfen in Einklang standen. Der Staatsanwalt zitierte jedoch den Polizeibericht und befand, es seien keine Hinweise auf Folterungen festzustellen gewesen.

Gewaltlose politische Gefangene

Im Zusammenhang mit den Demonstrationen am 19. Dezember 2010 waren Ende des Jahres 29 Personen wegen “Organisation von Massenunruhen” angeklagt worden, darunter sechs oppositionelle Präsidentschaftskandidaten, Mitglieder ihrer Wahlkampfteams und Journalisten. Ihnen drohten Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren. Viele von ihnen waren nur aufgrund der friedlichen Äußerung ihrer Ansichten angeklagt worden, mindestens 16 waren gewaltlose politische Gefangene.

Andrei Sannikau, ein Präsidentschaftskandidat der Opposition, wurde während der Demonstration am 19. Dezember festgenommen. Er wurde von der Bereitschaftspolizei geschlagen und trug Verletzungen an den Beinen davon. Als er zusammen mit seiner Frau, der Journalistin Irina Khalip, ins Krankenhaus gefahren wurde, hielten Polizeibeamte das Fahrzeug an und nahmen ihn in Gewahrsam. Am 27. Dezember suchten Angehörige des Jugendamtes ihren dreijährigen Sohn Danil auf und informierten seine Großmutter, dass sie das Sorgerecht für das Kind beantragen solle, da er sonst in ein Kinderheim komme. Am 29. Dezember wurde Andrei Sannikau des Straftatbestands der Organisation von Massenunruhen angeklagt. Irina Khalip wurde anschließend ebenfalls inhaftiert und angeklagt. Der Anwalt von Andrei Sannikau erhielt nur unregelmäßig Zugang zu ihm und gab seiner Sorge Ausdruck, dass die Verletzungen seines Mandanten nicht angemessen medizinisch behandelt würden. Aufgrund dieser Äußerung drohte man ihm mit Berufsverbot.

Der Militärdienst war weiterhin verpflichtend, es gab jedoch Diskussionen hinsichtlich einer Gesetzesvorlage zur Einführung eines Ersatzdienstes. Zwei Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurden im Laufe des Jahres freigesprochen.

Amnesty International: Mission

Delegierte von Amnesty International besuchten Belarus im September.

21. März 2019